Zeichnungen, die sich in den Raum hinein ausbreiten

Marbod Fritsch hat sich neben seinem installativen Schaffen immer auch intensiv mit dem Genre Zeichnung auseinandergesetzt. Zuletzt etwa ist er mit Linienbildern in Erscheinung getreten, bei denen er ganz dicht und systematisch horizontal oder vertikal gesetzte Linien mit Hilfe von Pauspapier auf Leinwände „druckte“. Solche Liniensysteme transferiert der Künstler jetzt skulptural in den dreidimensionalen Raum.

Zu diesem Zweck hat Marbod Fritsch Zeichnungen abfotografiert,  digitalisiert, am Computer bearbeitet, neu zusammengestellt und auf Folie geprintet. In der Folge werden diese zeichnungsbehafteten Folien vakuumverschweisst. Über Ventile, die an den Rändern und in der Mitte angebracht sind, wird in das Vakuum Kunstharz hinein gepumpt, das sich sodann über die gesamte Fläche der bedruckten Folie verteilt.  Da es zwei Tage dauert, bis das Epoxyharz völlig gehärtet ist, lässt sich das weiche, organische Material in diesem Zeitraum gut bearbeiten. Mit Hilfe von vertikalen Rundstehern, die er mit den Harzblättern umkleidet, formt der Künstler die zweidimensionalen Ausgangsprodukte zu säulenartigen Gebilden, die eine Höhe von 1,70 bis 3,40 Meter erreichen. Fritsch legt gleichsam eine Grundform fest, aber durch die jeweils individuelle Bearbeitung jeder einzelnen „Stele“ erhält jede Skulptur einen unverwechselbaren Eigencharakter. Jede Endform unterscheidet sich formal von der anderen. Der Künstler spricht denn auch von „multiplen Unikaten“.  

Da die Harzschichten dünn sind, wirken die „Verformungen“ durchlässig und fragil. Dennoch ist das Material äusserst widerstandsfähig und stabil, weshalb die Arbeiten durchaus auch für Aussenräume prädestiniert sind.

Im Grunde sind die in Harz erstarrten, in der Herstellung sehr aufwändigen Säulen durch und durch dialektisch aufgebaut. So ist der Produktionsprozess zunächst eine Wechselspiel zwischen analogen und digitalen Abläufen. Weiters ist das gehärtete Kunstharz zwar robust und praktisch unverwüstlich, gleichwohl strahlen die Stelen eine fast papierene Leichtigkeit aus. Die Künstlichkeit des Materials wird zum Steigbügelhalter einer sensibel-zeichnerischen Poesie. Dann behaupten die Skulpturen ihren fixen Platz im Raum, sei dies nun innen oder aussen. Als dreidimensionale Zeichnungen scheinen sie unverrückbar. Durch die Beleuchtung von innen scheinen die zur Skulptur geronnen Zeichnungen bei zunehmender Dunkelheit jedoch in den Raum hinein zu diffundieren. Das Zeichnerische befreit sich sinnbildlich vom Material, breitet sich immateriell aus und verschmilzt mit der Wesenheit des Raumes.  Karlheinz Pichler