sünden.phall

Eine Bleistiftlinie, aufgebläht und aus der Fläche in den Raum wachsend. Als silbernes Objekt nimmt sie den Raum in Besitz, teilt ihn, sprengt ihn. In ihren pulsierenden Bewegungen scheint die Linie zu leben. Bedrohlich und anziehend zugleich weckt sie Assoziationen, evoziert sexuelle Phantasien.

Die raumgreifende Installation von Marbod Fritsch hat ihren Ausgangspunkt im Zeichnerischen und öffnet gleichzeitig inhaltliche Dimensionen, die sich im thematischen Rahmen konkretisieren. Den Rahmen bildet die Ausstellung „Was einst Sünde war“. Der Titel der Installation verweist auf die phallische Konnotation des Gebildes und eröffnet einen spielerischen, humorvollen Zugang – auch als Gegensatz zur Schwere des Begriffs Sünde.

In der europäischen Kunst und Literatur ist die Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies allgegenwärtig. Die Schlange spielt in diesen Darstellungen meist nur eine Nebenrolle. Indem Marbod Fritsch sie aus dieser Bildtradition herausreißt und übergroß in den Mittelpunkt stellt, wird ihre Symbolkraft erhöht und gleichzeitig in Frage gestellt.

In der hellenistisch-jüdischen Tradition steht die Schlange für die Lust und dient als Vehikel der Versuchung im Kampf zwischen der Vernunft und der Sinnlichkeit. Sie ist Auslöser für die Rebellion des Irdischen gegen das Göttliche. Im hebräischen Urtext der Genesis lauten die Fluchworte Gottes über die Schlange nach dem Sündenfall: "Feindschaft setze ich zwischen dich und das Weib zwischen deinen Samen und ihren Samen Er wird dir den Kopf zermalmen Du wirst ihm die Ferse zermalmen" (Gen. 3. 14) Die Kirchenväter betrachteten diesen Vers als die erste frohe Botschaft vom Sieg Jesus Christus über die Macht des Satan. Eine neuere Auslegung sieht in der Schlange jedoch nicht mehr die Verkörperung des Satan. Sie könnte auch als Symbol des kanaanäischen Gottes Baal – speziell für dessen männlich-sexuelle Kraft – dienen. Zudem ist das hebräische Wort für Schlange maskulin, was als Erklärung dafür dienen kann, dass der „Schlang“ sich an die Frau wendet und nicht an Adam. Moderne Deutungen tendieren dazu, angesichts des bildhaften Erzählstils der Bibel, die Schlange im Stile einer Tierfabel nur als Symbol für die Natur der Sünde (die Schlange als das klügste unter den Tieren) zu sehen.

In Marbod Fritschs Raumobjekt pulsieren diese Deutungen alle mit, verlieren aber gleichzeitig ihre Schwere. Das Gebilde mutiert vom Zeichen, das sich in Raum und Zeit ausdehnt, zu einem lebendigen Symbol, das wieder in sich zusammenfällt.

Die Installation für das Küefer-Martis-Huus reiht sich nahtlos ein in die Arbeiten Marbod Fritschs. Sie nimmt Bezug sowohl auf sein zeichnerisches als auch sein konzeptionelles Schaffen. Längst ist Marbod Fritsch den meisten Kunstinteressierten nicht nur als Zeichner ein Begriff. Mit der Bahnschranke im Harder Seebecken, dem Fallen Man im Feldkircher Reichenfeld, dem auf der Schreibstiftspitze applizierten Arthur-Conan-Doyle-Zitat vor der AK Feldkirch und vielen anderen Arbeiten im öffentlichen Bereich hat Fritsch seine Stärken im raumbezogenen Schaffen unter Beweis gestellt. Auch mit der Installation in Ruggell untermauert der Künstler erneut, dass das konzeptionelle Denken bei ihm wesentlicher Teil seiner Arbeiten ist. Johannes Inama