Aus dem Bild heraustreten

Neue Arbeiten von Marbod Fritsch in der Galerie Stephanie Hollenstein

Egal ob es sich um Zeichnungen, Malereien oder konzeptuelle Projekte handelt, die künstlerischen Arbeiten des in Bregenz und Wien lebenden und arbeitenden Künstlers Marbod Fritsch verkörpern seit jeher ganz spezifische Denk- und Handlungsräume. Fritsch bedient sich textueller und zeichenhafter Codes, um die Erzeugung und Auflösung von Realität zu thematisieren.

 Schienen sich bei ihm die zeichnerischen und installativ-konzeptionellen Werkstränge bisher voneinander losgelöst autonom zu entwickeln, so beweist die kommende Ausstellung in der Lustenauer Galerie Stephanie Hollenstein, dass sich diese unterschiedlichen Disziplinen immer stärker aufeinander zubewegen. Die Analogien zwischen Zeichnung und konzeptionellen Kopfgeburten werden offenkundiger. In Lustenau präsentiert der Künstler Installation und Zeichnung unter dem Titel „Neue Architekturen“ denn auch erstmals parallel in einer geschlossenen Ausstellung.
 

Räumlich wahrnehmbare Bilder
Der erste Raum der Galerie ist dem zeichnerischen Werk gewidmet. Der Begriff „Zeichnung“ relativiert sich hier aber in diesen neuen Arbeiten insofern, als die Bildmotive, wie etwa lineare Netzstrukturen, die sich zur Mitte hin verdichten, auf Doppelfolien gedruckt werden. Konkret handelt es sich um großformatige aluprofilierte Kästen, die acht bis zehn Zentimeter dick sind, und nach innen und außen versetzt zwei Rillen aufweisen. In diese Rillen werden die mit Gummikanten bestückten Folien hineingedrückt und stabilisiert. Die vordere Folie ist durchlässiger als die hintere. Dadurch scheint die hintere durch, womit der gedruckten Zeichnung ein gewisses Maß an Unschärfe verliehen wird. Ein an und für sich äußerst präzises Arbeitswerkzeug, nämlich der Printer, wird solcherart von einer durch Überlagerung erzeugten „Ungenauigkeit“ konterkariert. Die Präsentationsform erinnert an die doppelbodigen Werbekästen und –ständer, wie sie etwa beim Messebau gängig sind. Durch die Doppelbödigkeit treten die gedruckten Zeichnungen quasi aus dem Bild heraus und erlangen eine räumliche Qualität. Fritsch bestückt den vorderen Galerienraum mit insgesamt sechs solcher dreidimensionalen Bildkästen. Drei davon erreichen das imposante Format von 240 mal 160 Zentimetern, drei weitere weisen das Format 180 mal 120 Zentimeter auf.

Eroberung des Raumes durch den Boden
Den hinteren Raum, den 105 Quadratmeter großen Hauptraum der Galerie Stephanie Hollenstein, besetzt Marbod Fritsch mit quadratischen, industriell gefertigten Holzplatten, die eine Kantenlänge von 40 Zentimetern aufweisen und unterschiedlich hoch sind. Die mit weißem Kunststoff beschichteten Pressspanplatten wachsen wie eine reliefartige Landschaft in den Raum hinein. Die Installation ist begehbar, allerdings muss der Besucher aufpassen, dass er aufgrund der unterschiedlichen Höhenniveaus nicht ins Stolpern gerät. Der Künstler zitiert mit diesem Heraustreten des Bodens respektive dieser „Eroberung“ des Raumes durch den Boden den Raster der Deckenstruktur.
Im öffentlichen Raum hat Fritsch mit Werken wie etwa „The Moving Earth Project“ (1999), dem Bahnschrankenprojekt für das Harder Seebecken „Separation Point“ (2006)  oder dem Kunst-am-Bau-Farbkonzept für das Bäuerliche Schul- und Bildungszentrum für Vorarlberg in Hohenems schon mehrfach für großes Aufsehen gesorgt. Im „musealen Bereich“ hingegen tritt der Bregenzer Kunstschaffende nach der Konzeptarbeit „A Real State“, mit der er 2006 den Eingangsbereich des Kunstmuseums St. Gallen subtil verfremdete, in Lustenau erst zum zweiten Male mit einer installativen Intervention in Erscheinung. Es gibt auch eine direkte Verbindungslinie zwischen diesen Rauminterventionen. Wie in St. Gallen ist nämlich auch in Lustenau das Jean-Luc-Godard Zitat „Real ist, was zwischen den Dingen ist und nicht das Ding selbst“ in die Arbeit integriert, auch wenn es für den Betrachter nicht auf Anhieb erkennbar ist. Die Rauminstallation in Lustenau wird sicher nicht die Letzte ihrer Art sein, denn gerade in diesem Bereich ortet Fritsch momentan das größte Herausforderungspotenzial, wie er selber bekundet.
Karlheinz Pichler