Walter König über den Teppich von Marbod Fritsch
"REAL IST WAS ZWISCHEN DEN DINGEN IST UND NICHT DAS DING SELBST" Jean Luc Godard
"Wenn sie mich verstanden haben, dann habe ich mich falsch ausgedrückt" Jean Luc Godard
Marbod Fritsch ist ebenso wenig wie der zitatenwütige Filmregisseur ("Nie habe ich einen realistischen Film gemacht") auf eine Stilrichtung festzulegen. Stets immer wieder neu unterwegsauf der Suche nach Wahrheit. Immer ist ein neues Ziel wichtiger als der zurückgelegte Weg. Beide weisen in ihrer Poesie der Worte und der Bilder auf das Dahinterliegende, dem raschen rationalem Zugriff sich Verweigernde hin. Das mag aufs Erste Skepsis und Ratlosigkeit auslösen. Geduldigen eröffnet sich nach und nach ein metaphorischer Raum voll der Anmutungen, Assoziationen und Symbole.
Das Gehen
Neugierde, psychische Gewandtheit und Achtsamkeit lassen die Sinne schärfen. Dem Teppich entgegengehen: Ahnung der gedämpften Schritte und Laute. Die schlichte, überraschende Ästhetik des Raumes, der kaum wahrnehmbare Geruch des Wollvelours. Vielleicht Ein-Wieder-Zurückgehen, um das sich entziehende Zitat genauer zu lesen......Übernimmt jetzt die Sprache die Kontrolle über das Haptische? Oder lasse ich mich "umhergehen", "frei flanieren"? Überlasse ich mich vielmehr meinen Füssen, wohin sie mich führen? Muße, Müssiggang war eine Tugend der alten Römer. Der Text lädt uns nachzuspüren, zu verlernen, was wir zu wissen glauben über die Dinge. Godard: "Es geht nicht darum, woher die Dinge kommen, sondern wohin sie dich führen".
Der Wald
"Ich ging im Walde so vor mich hin. Und nichts zu suchen, Das war mein Sinn" (Goethe). Freies Hineingehen ins Unbekannte. Sich hingeben in der gelösten Bereitschaft zu finden, sich zu finden, bereit für Wahrheiten, Erkenntnisse. Gehen auf dem Teppich wie auf dem Waldboden. Als Kinder haben wir auf dem Teppich gespielt. Die Muster sind eingespeichert, auch wenn sie nicht gleich ins Bewusstsein kommen........
Der Wald als Symbol der meist nur mehr im Urlaub gewünschten und kaum mehr gefundenen, ursprünglichen Natur. Der Wald, der uns so häufig im Märchen begegnet, führt uns in die „Anderswelt". Jenseits des Bewussten steht er für das Unbewusste. Im Wald tut sich die Seele auf für animistische Anmutungen. Er ist beseelt von Phantasiegebilden. Im Wald erscheinen die Gerüche intensiver. Wir fühlen uns erfrischt und gekräftigt. Im Märchen entwickelt sich der Held nur weiter, wenn er in den Wald hineingeht. Wenn er es wagt die Schwelle hin zum natürlich - animalischen Urgrund zu überschreiten. Wenn er seine Trennungsängste überwindet, indem er gesicherten Boden verlässt. Das Kind begegnet seiner Innerlichkeit, seinen Gefühlen und Gelüsten in Form von Feen, Zwergen, Gefahren und archetypischen Fabelwesen. (Vgl. Heinrich Heine: "Waldeinsamkeit": " Ich hab in meinen Jugendtagen wohl auf dem Haupt einen Kranz getragen.........")
Als Erwachsene entdecken wir, dass das Ding das Ding ist. Der Wald ist nur noch ein konkreter Wald. Ohne Leidenschaften. Die Schwelle zum Unbewussten scheint verborgen. Im künstlerischen Ausdruck haben wir die Chance des Nachspürens. Des assoziativen Hineingehens. Vielleicht begegnen wir wieder der Symbol - und Phantasiewelt, der lebendigen Waldwelt?
Der Blick
Im Anblick des Zitats führt uns der Künstler absichtsvoll in die Verwirrung, in den Diskurs, ins Zwecklose, in die Unsicherheit. "BEIINGSAFEISSCARY" ist der Schriftzug auf der heurigen Documenta im Fries des Fridericianums. Zulassen von Unsicherheit öffnet. Der freie, nicht moralisierende Blick auf die Kunst gelingt im Kommenlassen der Gedanken. Nicht der analytische Blick: "Ins Auge fallen" lassen, im Gegensatz eines gespannten Suchens nach einer Aussage, nach einer Botschaft, nach einem Sinn der Dinge. Nicht sich festhalten wollen am raschen Ergreifen, was denn zB der Künstler sagen möchte. Blicken, staunend schauen, "erschauen" wie ein Kleinkind. Hingabe aus Vertrauen geboren....... Alles Denken über die Dinge im Vergleich zu guten Einfällen, die wie freie Kinder, wie ein "Heureka!" vor uns dastehen und uns zurufen: da sind wir! Haben wir verlernt "wahr zu nehmen", auf zu nehmen? Gehen wir schon mehr mit verspannter Halsmuskulatur und gebeugtem Rücken ständig aufs Smartphone fixiert? Entziehen sich die Dinge der Anschauung, weil wir schon zum nächsten gewandert sind? Zwingt uns das Bombardement der Aufmerksamkeitsindustrie zum permanenten Ausblenden? Wählen wir ständig aus, was wichtig und unwichtig ist? Was rasch in welche Schublade gehört? Die Kunstindustrie verleitet uns nach teuer, berühmt, Status und Versicherungswert Ausschau zu halten. Kunst ist wie die Ernährungsindustrie zum Glaubensbekenntnis geworden. Die Ironie: Kunstfreunde aller Couleur strömen in die Biennalen, Museen, Auktionen, Ausstellungen und Messen wie Gläubige und Pilger in Kirchen und Wallfahrtsorte. Nach dem Niedergang zur Nazizeit hat die Kunst tatsächlich von bürgerlichen Zwängen, vergiftetem Gedankengut und Extremkonservatismus befreit. Nur, wovon soll uns die Kunst jetzt entsprechend dem alten Mythos freimachen? Soll sie volkserzieherisch sein? Spirituelle Nahrung bieten und die Welt verbessern?
Ist der Glaube an die Kunst zum Allheilmittel geworden? Zur Ersatzreligion? Zum politischen Statement? Zur Show, zum gesellschaftlichen Ereignis anstatt zum Schauen? Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung der Aufmerksamkeit von Museumsbesuchern ergab, dass im Durchschnitt 8 Sekunden vor dem Bild, 10 Sekunden vor dem Begleittext gestanden wird. Anschauung gehorcht keiner Ökonomie. Sehen als Konsum und Zeitmanagement. Nicht mehr schauen,anschauen, sondern "überfliegen".........
Der Teppich
Marbod Fritsch zeigt einen 15 Meter langen Teppich der an den Wänden hinaufzuklettern scheint. Könnte er sich zum "Fliegenden Teppich" erheben? Der renommierte Wissenschaftsjournalist Gert Scobel hat in seinem kürzlich erschienenen Buch "Der Fliegende Teppich - Eine Diagnose der Moderne" sich der Frage gewidmet, was wirklich IST. Bis zur Kraft der Imagination, der Symbole und der Placebowirkung der Autosuggestion. Und welche Kraft in uns jenseits der realen und bekannten Dinge schlummert. Wie in unserer Welt die Hexen auf dem Besen fliegen, führt uns der orientalische Volksglaube zum magischen Teppich: einem mythischen Fluggerät aus "Tausendundeinernacht". Vom Wind getragen und mit anderen Welten verbindend begibt sich unser Asterix auf einem fliegenden Teppich nach Indien. Der "Fliegende Teppich" wie wir ihn aus den bebilderten Erzählungen kennen zeigt stets Motive aus dem Morgenland: Bilder, die uns die Welt als Paradiesgarten erklären. Blumen - und Tier - Symbole die an westliche "Waldidylle" sowie "Paradies" - Vorstellungen erinnern. Muster die uns in die Kinderwelt führen. Kinder sind dem Paradies nahe. Kinder blicken dir in die Seele? Sie sehen was zwischen den Dingen ist. Sie kriechen und spielen auf dem Teppich, sehen die lebendig werdenden Muster ganz aus der Nähe.
Oder sollten die orientalischen Motive an die Geschichte der Kolonialisierung und Versklavung, der Ausbeutung und Enteignung erinnern? Marbod Fritsch bringt geistige und visuelle Nahrung aufs "Tapet": Er erzählt vom begehbaren digitalen Teppich der Gegenwart der unseren und den Galerie - Raum verwandelt. Wie die digitale Welt unser Dasein verändert hat. Der Teppich als Spielfeld der Kunst. Joseph Beuys meinte, dass, wenn wir uns dem Müssiggang der Kunstbetrachtung hingeben, jeder ein Künstler ist.
Lassen wir uns also naiv, gleichsam barfuß gehen. Sich gehen lassen und dem Schaffensprozess als eigener Künstler nachspüren. Lassen wir uns in die "Jenseitswelt" teleportieren. Lassen wir uns provozieren zu erfahren, wie begrenzt sicheres Wissen über die Dinge ist. Den Spiegel vorhalten und die Augen öffnen für eine neue Blickweise, eine neue Art Erfahrung zu machen. Uns begeistern, animieren, verzaubern und zum Nachdenken anregen...Riskieren wir zu sehen, wo wir sind. Analysieren wir uns selbst und lassen wir uns überraschen, welche subjektive Betrachtungsweise uns eigen ist.
Manchmal führen uns Dinge weiter als Menschen. Tote Dinge und scheinbar tote Gegenstände können lebendig werden. So, wie lebendige Menschen oft schon tot sind.
Walter König