Text-Passagen
Einmal drin im Kunstmuseum, hat man es schon durchschritten: Haben die Besucher das neoklassizistische Foyer des Kunstmuseums St.Gallen durchquert, um in die Ausstellung „Heimspiel 2006“ zu gelangen, wurde das Werk „A Real State“ des Vorarlberger Künstlers Marbod Fritsch vermutlich bereits übersehen. Dieses befindet sich nämlich nicht prominent platziert im „Piano Nobile“ des Hauses, in den weihevollen Ausstellungshallen, sondern an einem Ort, an dem man für gewöhnlich keine künstlerischen Eingriffe erwartet: im Windfang der Museumspforten. Im Gegensatz zu den Ausstellungssälen handelt sich dabei um Nicht-Orte des Museums, um Räume bzw. eigentliche Resträume alltäglicher und oft wenig reflektierter Funktionalität. Es sind solche Orte, die Künstler immer wieder faszinieren und zu Interventionen herausfordern – wie Marbod Fritsch zu seiner Arbeit „A Real State“.
Den mit dem Haus Vertrauten mag die künstlerische Intervention am schmucklosen Windfang aufgefallen sein: Eine mittels Computer aus Plastikfolie geschnittene kantige Struktur aus eng verzahnten Quadraten und Rechtecken gliedert den Metall-Glas-Kubus, seine ursprüngliche Transparenz erscheint sanft gebrochen, und die Passage wird als abgegrenzter Raum neu definiert. Als abstrakte Ornamentik legt sich die Folie gleichsam „allover“ über die einzelnen Paneele, in Rapportmuster insgesamt über hundert Mal. Erst bei genauer Betrachtung und aus grösserer Distanz lässt sich – vom Foyer her - mit einigem Aufwand das scheinbar abstrakte Muster als Text entziffern: „REAL IST WAS ZWISCHEN DEN DINGEN IST UND NICHT DAS DING SELBST“ lautet die kurze Sequenz. Dabei handelt es sich um ein Statement des berühmten Filmregisseurs Jean Luc Godard (*1930), das auf jenen metaphorischen Raum zwischen den Dingen zielt, den der Windfang geradezu physisch besetzt. Obwohl sich über den Text tiefgründig sinnieren liesse, interessieren hier die inhaltlichen wie räumlichen Transformationen und insbesondere die künstlerische Strategie, die sich darin offenbart. Godards Text wird zum bildkünstlerischen Werk, das seinen Sinn aus der präzisen räumlichen Setzung ableitet. In einer Passage in Szene gesetzt, lässt es eine Denkbewegung anklingen, die der Besucher als physische Bewegung vollzieht oder - wahrscheinlicher - bereits vollzogen hat. Das Dazwischen-Sein ist im Grunde die Bestimmung dieses Ortes, der als Übergang gleichsam mentale Räume miteinander verbindet: Aussen - Innen, Stadtpark – Kunstmuseum, Natur - Kunst…
Solche inhaltliche Dimensionen eröffnen sich dank der präzisen künstlerischen Intervention in einem räumlichen Dispositiv bei gleichzeitiger Reflexion im Medium Sprache. Diese spielt seit der Auflösung des künstlerischen Artefaktes in sprachliche Strukturen, d.h. seit Marcel Duchamps epochaler Verschiebung vom retinalen zum mentalen Kunstbegriff, eine zentrale Rolle für die Avantgarden des 20. Jahrhunderts und kulminiert in den 1960er Jahren in sprachlichen Mitteilungen, in denen vollständig auf den Objektcharakter des Kunstwerks verzichtet wird. Indem Marbod Fritsch diese Strategie der „Lingualisierung“ aufgreift, reiht er sich mit seinem Schaffen ein in eine lange Tradition, die gerade heute vor dem Hintergrund kurzlebiger Malerei-Euphorien einen entschiedenen intellektuellen Kontrapunkt setzt. Konrad Bitterli